Besteht ein Zusammenhang zwischen Netzhautschichtdicke und MS Krankheitsverlauf?
Bei der chronisch entzündlichen Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose (MS) wird das zentrale Nervensystem angegriffen und geschädigt. Dadurch wird der Transport von Botschaften über die Nervenbahnen ins Gehirn verlangsamt. Meist findet der Körper anfangs Umleitungen, durch die die Informationen trotzdem ankommen. Das hat zur Folge, dass etwaige Schädigungen schleichend fortschreiten und lange im Verborgenen bleiben. Äußerlich spürbare Symptome der Krankheit treten folglich erst dann auf, wenn bereits zu viele Transportwege versperrt sind und der Körper keine Umleitungen mehr findet. Da MS keine einheitlichen Symptome aufweist, nennt man sie auch die „Krankheit mit den tausend Gesichtern“.
Üblicherweise verläuft Multiple Sklerose anfangs schubförmig. Das heißt, bestehende Symptome verschlimmern sich plötzlich oder neue kommen unerwartet hinzu. Diese Verlaufsform wird schubförmig remittierende Multiple Sklerose oder RRMS (Relapsing Remitting Multiple Sclerosis) genannt. Ohne Behandlung schreitet die Krankheit unterschwellig stetig fort und geht in eine sekundär progrediente MS (SPMS) über. Da die langsam fortschreitende Verschlechterung oft erst später bewusst wahrgenommen wird, ist eine frühzeitige Diagnose von SPMS allerdings recht schwierig.

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In einer neuen Studie konnte nun ein Zusammenhang zwischen der Dicke der Netzhautschicht und dem progressiven Krankheitsverlauf von RRMS zu SPMS festgestellt werden. Die Netzhautschichtdichte wird mittels der Optischen Kohärenztomografie (OCT) gemessen, die durch Infrarotlicht-Aufnahmen hochauflösende Bilder der Schichten der Netzhaut sichtbar macht. Dabei wurde deutlich, dass Patient*innen, deren Krankheitsverlauf in eine SPMS überging, eine schnellere Netzhautverdünnung aufwiesen als Patient*innen, die in der Verlaufsform RRMS blieben. Grund dafür ist ein Gewebeschwund (Atrophie)sogenannter Ganglienzellen, die visuelle Informationen der Netzhaut über den Sehnerv ins Gehirn transportieren. Sterben diese Zellen durch einen MS-Schub ab, wird auch die Netzhaut dünner. Künftige Schübe verlaufen dann schwerwiegender und der Übergang von RRMS zu SPMS ist wahrscheinlicher. Die Forschenden konnten bestätigen, dass eine Minderung der Netzhautschichtdicke von fünf Mikrometer das Risiko einer bleibenden Behinderung nach dem nächsten Schub verdoppelt.
Zwar ist Multiple Sklerose heutzutage noch nicht heilbar, aber vielseitig therapierbar. Wie bei vielen Krankheiten ist auch bei MS eine frühe Diagnose und Behandlung entscheidend. Je früher mit der Behandlung begonnen wird, desto mehr physische wie kognitive Fähigkeiten können langfristig erhalten bleiben. Daher bietet die Untersuchung der Netzhautschichtdichte eine sinnvolle Erweiterung in der MS-Diagnostik und kann Ärzt*innen dabei helfen, die bestmögliche Therapieform zu wählen.
Schübe werden zumeist mit Glukokortikosteroide (Kortison) behandelt, um Entzündungen schnell einzudämmen und einen Großteil der Symptome zu lindern. Außerdem kommen diverse Antikörpertherapien im Kampf gegen die MS zum Einsatz. Für die frühe Behandlung der chronischen Autoimmunerkrankung wird beispielsweise der neue Wirkstoff Ofatumumab eingesetzt, den sich Patient*innen nach entsprechender Anleitung mittels eines Autoinjektions-Pens selbst injizieren können. Seit Januar 2020 gibt es zudem die erste orale SPMS-Therapiemöglichkeit mit dem Wirkstoff Siponimod. Dieser beeinflusst das Immunsystem und verlangsamt die Nervenschädigungen, wodurch kognitive Fähigkeiten länger erhalten bleiben. Diese moderne Antikörpertherapie setzt gezielt an den aktivierten Lymphozyten an, so dass eine Grundimmunität weiterhin gewährleistet ist.
Quelle:
ABC HEALTHCARE GmbH & Co. KG
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