Angehörige zu pflegen ist nicht nur zeitlich aufwändig, sondern auch psychisch und physisch belastend. Eine Vereinbarkeit von Pflege und Beruf kann nur gelingen, wenn die Pflegesituation vom Arbeitgeber unterstützt wird, da sich pflegende Angehörige ansonsten häufig zwischen der Pflege und ihrem Job entscheiden müssen:
Interview mit Almut Schultheiß-Lehn (2. Kreisbeigeordnete, Jobcenter, Soziale Hilfen, Soziale Sonderaufgaben) bei der Kreisverwaltung Mainz-Bingen *
Wie kam die Idee zur Schulung von Pflegelotsinnen in der Kreisverwaltung Mainz-Bingen zustande?
Die Schulung von internen, kollegialen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern war ein Baustein im Gesamtkonzept zur Verbesserung der Vereinbarkeit von „Beruf & Pflege“ in der Kreisverwaltung. Das Konzept wurde auf Grundlage von Recherchen und dem Austausch mit anderen Arbeitgebern für die Kreisverwaltung entwickelt und enthielt Vorschläge für sinnvolle Maßnahmen, um die Vereinbarkeit von berufstätigen Pflegepersonen zu verbessern. Erfahrungen von anderen Arbeitgebern zeigen, dass Pflegelotsinnen dazu beitragen, dem Thema Vereinbarkeit von Beruf und Pflege ein Gesicht zu geben und Hürden zur Ansprache des Themas abzubauen. In Ergänzung zu professionellen Ansprechpartnern erleichtern kollegiale Anlaufstellen die Ansprache und ermöglichen es Betroffenen, sehr frühzeitig und unkompliziert Unterstützung und Informationen zu suchen.
Wie wurden die Beschäftigten ausgewählt, die zu Pflegelotsinnen geschult wurden?
Die Beschäftigten konnten sich auf einen offenen Aufruf der Landrätin für die Schulung und das „Ehrenamt“ als Pflegelotse/Pflegelotsin melden. Alle Beschäftigten, die Interesse hatten, konnten an der Schulung teilnehmen und sich im Anschluss daran als Pflegelotsen betätigen. Ein Auswahlverfahren gab es nicht. Alle Beteiligten bringen eigene Berührungspunkte zum Thema mit, die Motivation ist daher sehr hoch.
Was sind die Hauptaufgaben der Pflegelotsinnen?
Die Pflegelotsinnen sollen eine unkomplizierte Anlaufstelle für Kolleginnen und Kollegen sein, die von einer Pflegesituation betroffen sind, erwarten in Zukunft betroffen zu sein oder sich einfach informieren möchten. Sie sollen einen geschützten Rahmen bieten, in dem die eigene Situation sortiert werden kann. Bei weitergehenden Klärungsbedarfen, zum Beispiel zu Arbeitszeitregelungen oder der Beantragung von Pflegeleistungen wissen sie, welche Anlaufstellen geeignet sind und vermitteln weiter. Sie tragen gleichzeitig auch dazu bei, das Thema zu enttabuisieren, Hürden zur Inanspruchnahme von Angeboten abzubauen und Sicherheit im Umgang mit dem unübersichtlichen „Pflegedschungel“ zu geben.
Können Sie ein Beispiel geben, wie die Pflegelotsinnen bereits einen positiven Einfluss auf die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf hatten?
Da sich das Angebot noch am Anfang befindet, können noch nicht viele Erfahrungsberichte gegeben werden. Pflegelotsinnen wurden aber schon von anderen Beschäftigten angesprochen. Der erste positive Effekt ist, dem Thema Vereinbarkeit von Beruf und Pflege ein Gesicht zu geben. Bis zur Schulung der Lotsinnen war das Thema in der Kreisverwaltung zwar schon kommuniziert, aber eher abstrakt. Nun gibt es eine Gruppe von Kolleginnen, die mit ihrer Präsenz zeigen, dass das Thema wichtig ist und es greifbarer machen. Dazu braucht es interne flankierende Öffentlichkeitsarbeit, indem zum Beispiel das Gruppenbild in hausinternen Newslettern erscheint und die Pflegelotsinnen im Flyer genannt werden. Ein weiterer Effekt ist, dass Pflegelotsinnen eine Betroffenenperspektive in das Gesamtprojekt einbringen können. Entweder durch eigene Erfahrungen oder vermittelt durch die Themen aus der Belegschaft.
Wie oft treffen sich die Pflegelotsinnen zum Austausch / was sind die Hauptthemen dieser Treffen?
Die Pflegelotsinnen werden sich quartalsweise zum Austausch treffen. Das erste Treffen findet kommende Woche statt. Themen werden die bisher gewonnen Erfahrungen und Anfragen sein, sowie die Organisation innerhalb der KV, auch bezogen auf das Gesamtprojekt. Ein weiteres Thema wird die interne Öffentlichkeitsarbeit für die Angebote von Beruf & Pflege sein.
Was sind die nächsten Schritte in Bezug auf dieses Projekt?
Für 2024 ist eine Veranstaltungsreihe für pflegende Angehörige geplant, die auch für externe Teilnehmer offen ist. Diese startet am 12.6. mit einem Vortrag zum Thema Vorsorgeregelungen. Außerdem wird es darum gehen, die aufgebauten Angebote zu etablieren und in der Belegschaft bekannter zu machen.
Gibt es Pläne, mehr Pflegelotsinnen zu schulen oder das Programm zu erweitern?
Aktuell ist keine neue Schulung geplant. Es geht zunächst darum, die aufgebauten Angebote zu etablieren und in der Belegschaft bekannter zu machen.
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* das Interview führte Joachim Kübler